Als Nackel Weltgeschichte schrieb

Wusterhausen/Dosse, den 16.05.2012
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MAZ vom 16.05.2012

Vor 100 Jahren verunglückte ein Welfenprinz an der heutigen Bundesstraße 5 – mit Folgen für Europas Königshäuser

NACKEL - „In Brandenburg, in Brandenburg ist wieder jemand gegen einen Baum gegurkt“, singt Rainald Grebe im „Brandenburgsong“. Ein so sarkastischer Blick aufs Unfallgeschehen hätte Grebe vor 100 Jahren den Kopf gekostet. Denn was heute alltäglich ist, wo sich an jeder Landes- und Bundesstraße Bäume und Kreuze abwechseln, nahm zur Zeit Kaiser Wilhelms II. seinen Anfang – und betraf ein Königshausmitglied.

Schweigeminute am Sonntag

Es passierte am 20. Mai 1912 ausgerechnet in Brandenburg auf der Hamburger Chaussee, der heutigen Bundesstraße 5 zwischen Friesack und Wusterhausen nahe dem Dorf Nackel. Das Ereignis füllte die Dorfchronik, die Hannelore Gottschalk hütet: „Ich dachte neulich erst, daran muss doch mal erinnert werden“, erzählt sie, als sich die Presse meldet. Erst dann entscheiden sich Hannelore und ihr Mann und Ortsvorsteher Albrecht Gottschalk, am kommenden Sonntag um 13.30 Uhr vor Ort an das Geschehen vor 100 Jahren mit einer Gedenkminute zu erinnern. Gegen 15.30 Uhr stoppt ein Oldtimerkorso an der B 5. Ein Kranz wird niedergelegt. Die Oldtimerfreunde besuchen zuvor Wusterhausens Wegemuseum, wo sich an diesem Internationalen Museumstag alles ums Thema „Automobilisierung“ dreht.


Auf dem Weg zur Beerdigung

„Ein Welfenprinz findet den Tod auf preußischem Boden“, soll der Kaiser gerufen haben, als er die Nachricht vom Unfall ins hessische Bad Homburg telegrafiert bekam, wo er mit seiner Familie urlaubte. Seit der Einverleibung Hannovers in Preußen bestand Feindschaft zwischen Hohenzollern und Welfen.

Der Unfalltote, ein Welfe eben, war Prinz Georg Wilhelm von Großbritannien, Irland und Hannover, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg. Um Georg trotzdem die letzte Ehre zu erweisen, schickte der Kaiser seine Söhne Eitel Friedrich und August Wilhelm nach Nackel. Und die Herrscherhäuser versöhnten sich: 1913 heiratete Georg Wilhelms jüngerer Bruder Ernst August die einzige Tochter Kaiser Wilhelms II., Viktoria Luise. Der Kaiser gestattete dem Schwiegersohn, wieder in Braunschweig zu regieren. Ernst August und Viktoria, das sind die Großeltern des heute in den Boulevardnachrichten als „Prügelprinz“ bekannt gewordenen Ernst August von Hannover.

Ihr aller Verwandter, Georg Wilhelm, fuhr am Morgen des 20. Mai 1912 in Prag los. Sein Ziel war Kopenhagen, wo sein Onkel, der dänische König Frederik VIII., beerdigt werden sollte. Der 31-jährige Prinz rastete kurz in Berlin und fuhr weiter Richtung Hamburg. Am Abend wollte er bei seiner Schwester, der Großherzogin von Mecklenburg-Schwerin, übernachten.

Georg besaß seit zwei Jahren den Führerschein. Im Juni wollte er beim österreichischen Alpenrennen teilnehmen. Nun saß er seit Prag am Steuer, obwohl ein Chauffeur mitfuhr. Gegen 17 Uhr wurde etwa acht Kilometer nach Friesack eine Baustelle zum Verhängnis. Wohl übermüdet, raste der Wagen mit 90 Stundenkilometern in loses Schottergestein, kam nach rechts von der Straße ab, riss drei Bäume um und bohrte sich mit zerstörter Vorderachse in die Erde. Prinz Georg Wilhelm und sein Kammerdiener Grebe – Karl Grebe – waren sofort tot. Der hinten sitzende Chauffeur überlebte leicht verletzt. Die Toten wurden in der Kirche von Nackel aufgebahrt und wenig später mit militärischen Ehren zum Bahnhof Friesack gebracht. An diesem heißen Tag bewegte sich der Trauerzug zu Fuß durchs Luch, angeführt von einem Schwadron Rathenower Zieten-Husaren.

 

Mit Brillanten verzierte Manschettenknöpfe

Am Bahnhof verlud man die Särge unter den Gesängen des Friesacker Männerchores in den Waggon, der den Kronprinzen zur Beisetzung ins österreichische Gmunden brachte. Der Friesacker Bahnhofsvorsteher, Joachim Gahl, so heißt es, erhielt dank seiner Pflichterfüllung ein Schreiben aus Österreich samt zweier mit Brillanten und den Initialen „GW“ verzierten Manschettenknöpfe. Den Dorfbewohnern dankte Hannovers Königshaus, weil sie sich so mitfühlend gezeigt hatten. Geldspenden erhielten die Kirche, der Kriegerbund und der Jungfrauenverein. In der Kirche erinnert eine Tafel an die Aufbahrung und dass die Gemeinde vor der Überführung der Toten sang.

Sodann ließ die Familie jenen Stein meißeln, der bis heute die Unfallstelle markiert. An dieser Straße, die in den 1990er Jahren noch traurige Rekorde brechen sollte und auch als Testgebiet für Tempokontrollen bundesweit Furore machte, sitzt der Landesbetrieb Straßenwesen. Dessen Leute zählen immer mehr Kreuze in Brandenburg. „Wir haben uns vor Jahren darauf verständigt, sie überall stehen zu lassen“, erklärt Frank Schmidt. Bei Straßenverbreiterungen werden sie umgesetzt statt weggeräumt.

Am leicht zu übersehenden Stein des Welfenprinzen ist die Strecke schnurgerade. Wer wachen Auges langsamer fährt, erkennt ihn. (Von Matthias Anke)

 

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